Mobilität & Corona: Veränderungen durch die Krise – Teil I
Vom Kleinwagen bis zum SUV: Das Auto steht wieder voll im Fokus
Der nach wie vor hohe Stellenwert des Autos in Deutschland zeigt sich an der Lautstärke der Debatte um mögliche Kaufprämien für Neuwagen, mit der zahlreiche Politiker den angeschlagenen Autoherstellern wieder auf die Beine helfen wollen. Für viele Kritiker, darunter Bundesumweltministerin Svenja Schulze, wären Förderungen allein für Autos - noch dazu mit schlechten Abgaswerten - eine Investition in die Vergangenheit. Ihrer Ansicht nach sollten demnach nur Elektro-Autos gefördert und staatliche Mittel für eine umfassende Modernisierung der Mobilität genutzt werden.
Verkehrsminister Scheuer sieht das anders und will vergleichsweise lasche Bedingungen an die Zahlung der Prämien stellen. So unumstritten wie die fragwürdige Abwrackprämie in der Finanzkrise 2009 ist die nun diskutierte Kaufprämie sicherlich nicht. Die Interessen der Autokonzerne, von denen sich Volkswagen gerade erst „sittenwidriges Verhalten“ im Dieselskandal vom Bundesgerichtshof attestieren lassen musste, scheinen bei der Politik jedoch abermals auf besonders weit geöffnete Ohren zu stoßen. Kommt eine Kaufprämie auch für Benziner und Diesel-PKW, wäre das zumindest keine Überraschung. Eine zukunftsgerichtete Politik sieht leider anders aus.
Spannend wird die Frage sein, ob Autokonzerne mittelfristig sogar als Profiteure aus der Krise rund um COVID-19 hervorgehen, weil die individuelle Mobilität derzeit wieder an Bedeutung gewinnt. Die Ansteckungsgefahr geht schließlich im eigenen PKW gegen Null, während man in öffentlichen Verkehrsmitteln zwangsläufig vielen Menschen begegnet und auch Mund-Nasen-Masken nicht vollständig gegen Infektionen schützen können. Es gibt abseits aller Umweltbedenken also gute Argumente, längere Strecken vorerst mit dem Auto zurückzulegen, wovon auch Carsharing-Dienste nun wieder profitieren könnten. Gegenteiligen Einfluss auf den Autoverkehr könnte in den sogenannten Rush-Hours der steigende Trend zum Home-Office nehmen. Welche der gegenläufigen Entwicklungen stärker sein wird oder ob am Ende doch vieles beim Alten bleibt, ist bislang kaum abzusehen.
Quo Vadis ÖPNV: Der Nahverkehr könnte langfristig mit den Folgen kämpfen
Was gegenwärtig der Vorteil des Autos ist, wird zum Nachteil des öffentlichen Personennahverkehrs. „Nahverkehr“ muss man nämlich wörtlich nehmen, wenn sich inzwischen wieder Menschen in Bahnen und Bussen aufhalten, ohne den empfohlenen Mindestabstand einhalten zu können. Dort ist dementsprechend die Infektionsgefahr besonders groß, weshalb es auch in den kommenden Wochen eine Maskenpflicht gibt.
Bis sich die Nutzung des ÖPNV wieder auf Normalmaß einpendelt, könnte es noch eine ganze Weile dauern, womöglich bis 2021. Fest steht, dass die Anbieter in den vergangenen Monaten zeitweise bis zu 90 Prozent weniger Fahrgäste in Bussen, Straßen- und U-Bahnen beförderten, wie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV vermeldet. Insgesamt könnten sich in diesem Jahr deshalb fünf bis sieben Milliarden Euro an Verlusten anhäufen, die in erster Linie durch die Kommunen aufgefangen werden müssen.
Inwiefern der Bund dabei helfen wird, diese riesigen Summen aufzufangen, ist noch nicht geklärt. Sinnvoll wäre es, die Finanzspritzen auch dafür zu verwenden, Busse auf klimafreundliche Technologien wie Wasserstoff umzurüsten, die Angebote weiter zu digitalisieren und zu vereinheitlichen sowie durch sinnvolle Sharing-Angebote etwa für Autos und E-Roller zu ergänzen. Die Chancen, die sich bieten, sind beträchtlich, sie müssen allerdings auch konsequent genutzt werden. Dann könnte der ÖPNV langfristig für Fahrgäste (wieder) attraktiv werden und das Auto weiter über die Grenzen der Innenstädte hinaus verzichtbar machen.
Das Zweirad ist flexibel – wenn die Städte es lassen
Der gute, alte Drahtesel ist einer der großen Gewinner der Krise. An der frischen Luft sinkt das Infektionsrisiko beträchtlich und gegen den Lagerkoller in der eigenen Wohnung hilft kaum etwas besser als eine ausgiebige Radtour. Für kurze Wege zur Arbeit oder zum Supermarkt sind Fahrräder gerade beim anhaltend sommerlichen Wetter zudem eine hervorragende Alternative zu Bussen und U-Bahnen. Fahrradhändler erleben aus diesen Gründen vielerorts eine nie dagewesene Nachfrage, vor allem E-Bikes werden immer beliebter.
Doch irgendwo müssen auch Fahrräder Platz finden. An Wochenenden tummeln sich derzeit in vielen Städten tausende Radfahrer auf den häufig viel zu schmalen Wegen, flottes Vorankommen ausgeschlossen. Die dringende Notwendigkeit zum Ausbau der Infrastruktur für Zweiräder in den Städten wird gerade deutlicher denn je. Brüssel mit seiner „Velórution“ macht vor, wie es gehen kann: Fortan können sich Fahrradfahrer und Fußgänger in der Innenstadt der belgischen Hauptstadt frei bewegen, Autos und öffentliche Verkehrsmittel dürfen noch maximal 20 km/h fahren. Aber auch weniger umwälzende Maßnahmen können schon helfen. Möglich sind beispielsweise Umwidmungen von Straßen in Fahrradstraßen oder Autospuren in Fahrradstreifen. Fest steht, dass der Handlungsdruck auf Stadtverwaltungen und Städtepläner durch Corona nochmal enorm gestiegen ist. Wem immer noch die nötige Inspiration fehlt, sollte einfach einen Blick in die Niederlande oder nach Dänemark werfen, wo Fahrradfahrer längst Vorrang haben und auf abgetrennten Schnellwegen unterwegs sind.
Lesen Sie zu diesem Thema weiter in unserem II. Teil:
Mobilität & Corona: Veränderungen durch die Krise - Teil II
Weiterführende Links:
Interview bei Klimareporter.de zur Zukunft der Mobilität
Artikel bei Autoflotte.de zur Zukunft von Sharing-Diensten
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