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BTW 2017 - SPD: "Die Diesel-Abgasnorm einzuhalten, ist eine Frage des Verbraucherschutzes"

Im TV-Duell konnte sich Martin Schulz nicht zum Klimaschutz- und der Energiewende äußern. Die Debatte zwischen den zwei Regierungsparteien fiel der Flüchtlingsdebatte zum Opfer. Dabei hängen beide Themen direkt zusammen, findet SPD Politiker Johann Saathoff. Dem EVP erzählt er, warum die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens Fluchtursachen bekämpfen kann und wann die Politik in Aufsichtsräte von Automobilherstellern gehört.

Die Energiewende ist beschlossen, die Pariser Klimaziele gesetzt und regenerative Energien sind auf dem Vormarsch. Energie scheint ein Thema, das im Wahlkampf wenig Kontroversen aufwirft. Doch Deutschland wird sein Klimaziel für 2020 voraussichtlich verfehlen, Elektromobilität will auf deutschen Straßen nicht ankommen und nicht zuletzt zeigt die Diesel-Affäre, dass Klimaschutz zwar auf dem Papier festgeschrieben wurde, die Realität dem Anspruch aber kaum nachkommt. Grund genug vor der Wahl bei Energiepolitikern aller Parteien nachzufragen, wie sich das ändern soll. In Teil 4 unserer Serie sprechen wir mit Johann Saathoff, SPD Bundestagsabgeordneter für Energie- und Verbraucherschutzpolitik.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber hat Ende Juni als erster SPD-Abgeordneter gefordert, dass man das EEG abschaffen sollte. Das sehen auch viele andere Parteien so. Sind Sie mit dem Gesetz zufrieden?

Saathoff: Ich empfehle Jedem, der fordert, dass das EEG abgeschafft wird, mal ins EEG zu schauen. Ich kann mich an die Netzausschreibungsrunden zur Windenergie erinnern, als Null-Cent-Angebote kamen, kam aus der Union sofort der Ruf, das EEG kann abgeschafft werden. Aber im EEG stehen zum Beispiel auch die besonderen Ausgleichsregelungen, also  wäre ich da ganz besonders vorsichtig. Und natürlich wäre das auch Quatsch, das EEG jetzt abzuschaffen. Es muss sicher reformiert werden, so wie es in der Vergangenheit. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn es gibt kein Patentrezept dafür, wie man erneuerbare Energien einführt.

Viele Kritiker des EEG bemängeln, dass die EEG-Umlage die Energie- und Stromkosten sozial ungerecht verteilt Die Linke hat deshalb eine kleine Anfrage zum Thema Stromarmut an die Bundesregierung gestellt. Die hat geantwortet doch im Grunde genommen gesagt, Stromarmut wäre ein Phänomen der Armut aber nicht ein Problem an sich. Wie würden Sie es bezeichnen, wenn Haushalte Probleme haben, ihre Strom- und Energiekosten zu bezahlen?

Saathoff: Ganz klar müssen wir den Aspekt der Bezahlbarkeit berücksichtigen. Und wir haben gleich zu Beginn der letzten Legislaturperiode ein Zieltrias festgelegt, - die Verantwortbarkeit der Energieproduktion, die Verlässlichkeit der Versorgung und die Bezahlbarkeit der Energie. Deswegen haben wir ganz stark darauf geachtet, dass die EEG-Umlage nicht in dem Maße weitersteigt, wie sie das vor unserer Regierungszeit getan hat. Wir haben immer den Verbraucherpreis im Blick gehabt. und wollen die Stromsteuer deshalb weitestgehend abschaffen. Ganz können wir sie aus rechtlichen Gründen nicht abschaffen. Das wäre eine Entlastung von fast zwei Cent pro Kilowattstunde für die Verbraucher.

Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage nach der Wechselbereitschaft der Menschen. Diejenigen die, größere Schwierigkeiten mit dem Bezahlen ihrer Stromrechnung haben, sind auch diejenigen, die teilweise noch nie ihren Stromanbieter gewechselt haben.

…die teilweise aber auch nicht wechseln können, weil sie im Grundtarif durch Schulden eingezwängt sind.

Saathoff:  Das stimmt, aber es gibt auch dennoch eine ganze Menge Potenzial bei Menschen, die ihren Stromtarif wechseln können. Wir haben außerdem das Mieterstromgesetz eingerichtet, indem wir Photovoltaik-Projekte in den Städten möglich gemacht haben und zwar so, dass die Mieter auch davon profitieren müssen. Der Strom, der von den Dächern kommt muss mindestens 10 Prozent günstiger sein als der Grundversorgungstarif. So würden auch Menschen, die nicht aus der Grundversorgung rauskönnen, profitieren. Darauf bin ich ganz besonders stolz, auch persönlich.

Eine Maßnahme, die jetzt vielleicht nicht unbedingt den Ärmsten zuträglich ist, aber doch eine breite Masse an Mietern ohne Eigentum erreichen könnte?

Saathoff: Genau. Ich habe die Bezahlbarkeit im Blick gehabt. Wir wollen die Stromkosten nicht exorbitant steigen lassen, sondern sie so steuern, dass alle Menschen sie tragen können.

Der günstigste Strom ist heute noch Kohlestrom. Das ist ein großes Thema der Energiewende. Jetzt sehe ich bei der SPD im Wahlprogramm immer noch keinen konkreten Punkt, kein Datum zum Kohleausstieg. Schieben Sie das Problem auf?

Saathoff: Der Kohlestrom ist deswegen im Verhältnis zu den anderen Energiequellen günstiger, weil die CO2-Belastung der Atmosphäre nicht mit einkalkuliert wird. Das heißt, der Emissionshandel funktioniert nicht wirklich. In der Wirtschaft würde man sagen, er funktioniert. Das Angebot ist riesig und die Nachfrage moderat, deswegen ist der Preis sehr gering. Ich bin nicht zufrieden mit den Verbesserungen des Emissionshandels, aber ich sehe auch schon verbindliche Zugeständnisse. Spätestens 2022/23 wird der CO2-Preis sukzessive steigen, wenn sich am Kohlepreis nichts ändert.

Es hilft uns nicht weiter, irgendein Datum für den  Kohleausstieg zu nennen. Das hätte auch enorme Effekte auf die Laufzeiten von Kraftwerken und die Strompreise. Wenn wir wollen, dass gerade die Ärmsten in der Lage sind, ihren Strom zu bezahlen, sollten wir kein festes Datum nennen.

Weil das den Strom teurer machen würde, denken Sie?

Saathoff: Ja, der Strompreis, der über den Handel verantwortet wird. Der Rest geht über die EEG- Umlage und die Netzentgelte usw. Wenn die Fünf-Jahres-Futures an der Börse aufgrund eines festen Ausstiegsdatums politisch ansteigen, steigt auch der Preis.

Der SPD-Abgeordnete Ulrich Freese sagte Anfang Juni, als es um den deutschen Braunkohleausstieg ging. dass dieser zwar 180 bis 200 Millionen Tonnen CO2 Emissionen einsparen könnte, das aber fürs Weltklima nicht ins Gewicht fallen würde. Sein Wortlaut war, das sei so bedeutend als fiele in China ein Sack Reis um. Was heißt das jetzt für Deutschlands internationale Klimapolitik? Ist die irrelevant?

Saathoff: Nein, wir haben Klimaziele in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere im Energiesektor. Der Vorschlag einer CO2-Abgabe ist in der Wirtschaft auf riesige Widerstände gestoßen. Dann gab es die Überlegung, im Rahmen des Strommarktgesetzes eine Sicherheitsbereitschaft einzuführen, die Idee, die dahinter steckt, ist die Klimaschutzidee. Wir haben erstmal massiv Braunkohle aus der Produktion in eine Sicherheitsbereitschaft genommen. Das ist die Handschrift der SPD und das macht deutlich, welche Entwicklung der Braunkohle die SPD erwartet.

Braunkohle als Sicherheitsreserve?

Saathoff: Ja, damit ist sichergestellt, dass Braunkohle weniger Strom produziert. In den Braunkohlegebieten wissen die Menschen das auch, sie wollen aber auch sicher sein, dass das nicht von einem Tag auf den anderen passiert und die Politik sie nicht aus den Augen verliert. Freese kommt aus der Lausitz, seine Äußerung hat natürlich eine andere Besonderheit in dieser Frage: Dass er sich für die Menschen seines Wahlkreises einsetzt, will ich ihm nicht abreden. Aber unser Handeln in der Bundesregierung zeigt, dass wir das Bemühen haben, Stück für Stück aus der Kohle auszusteigen und es in sinnvolle Verwendung überzuführen, ohne dabei die ansässigen Menschen aus dem Blick zu verlieren, die natürlich auch eine Perspektive brauchen.

Vielleicht wäre das ja auch ein Punkt, den Sie in ein von der SPD angekündigtes nationales Klimaschutzgesetz einbringen würden. Warum brauchen wir das?

Saathoff: Wir haben in den letzten vier Jahren gesehen, wie schwierig es ist, die CO2 Ziele, für die wir verbindliche Verträge unterzeichnet haben, auch tatsächlich zu erreichen. Ein Klimaschutzgesetz schafft viel mehr Verbindlichkeit. Das ist auch eine Frage, die mit den wirtschaftlichen Standortfaktoren Deutschlands zu tun hat. Warum sind wir in Deutschland erfolgreich? Weil alle Welt weiß und darauf baut, dass wir einen Vertrag auch einhalten, wenn wir ihn unterzeichnen. Bei den Klimaschutzzielen würde ich mir auch wünschen, dass wir unseren Vertrag einhalten. Deswegen könnte es über ein Gesetz verbindlich werden.

Und was würde drinstehen?

Saathoff: Wenn es nach mir ginge, würde es vor allen Dingen verbindliche Einsparziele vorgeben, die in den einzelnen Resorts umgesetzt werden müssten. In unserer Bundestagsfraktion haben wir den Klimaschutzplan miteinander entwickelt. Ich würde mir aber wünschen, dass das Parlament auch verbindlicher beteiligt wird. Bisher war es ja immer das Kabinett, das darüber abgestimmt und beraten hat. Ich glaube, das gehört ins Parlament.

Wenn Sie im Wahlprogramm über Klima und Energiepolitik sprechen, beschreiben Sie die auch als Friedenspolitik und als Ausdruck internationaler Solidarität. Der Punkt wird wenig diskutiert. Kann deutsche oder europäische Energiepolitik den Frieden befördern? Und im Umkehrschluss: Wenn wir unsere Ziele verfehlen, kann das international negative Folgen für Frieden und Wohlstand haben?

Saathoff: Es gibt längst drastische Veränderungen, die dem Klimawandel geschuldet sind. Andere Pflanzen spielen eine Rolle, das was früher traditionell gewachsen ist, wächst heute nicht mehr. Wir haben bereits jetzt aufgrund der veränderten Klimabedingungen und der dadurch veränderten Landwirtschaft, Hunger und Armut und Menschen, die zur Flucht gezwungen sind sowie große Verteilungskonflikte insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Verantwortlich ist sicher nicht nur Deutschland, aber auch Deutschland und deswegen müssen wir das in Angriff nehmen.

Ihr Wahlkreis liegt in Emden. Die Stadt ist auch Produktionsstandort, für den VW Passat. Ungefähr 10.000 Arbeitsplätze, hängen dort an der Volkswagenproduktion Wie gehen Sie als Bundestagsabgeordneter aus dieser Region mit dem Dieselskandal um?

Ich mache mir natürlich Sorgen um VW und die Zukunft der Ostfriesen im VW-Werk. Der Dieselskandal ist eine Fehlentscheidung aus dem VW-Management. Das dürfen nicht die VW-Mitarbeiter auslöffeln, die jeden Tag ihren Job am Band gemacht haben. VW, wie andere Firmen auch, muss bei der Umstellung der Mobilität von Verbrennungs- auf Elektromotoren politisch begleitet werden. Wir haben Interesse daran, dass Deutschland auch in zwanzig Jahren noch Automobilstandort ist, mit Fahrzeugen, die in der ganzen Welt geachtet und geschätzt werden. Dazu muss auch die Politik ihren Beitrag leisten.

Der niedersächsische Ministerpräsiden Stefan Weil ist jüngst als negatives Beispiel für Verflechtungen zwischen Automobilindustrie und Politik aufgefallen. Wie schützen Sie sich vor Abhängigkeit trotz des großen VW Standorts in Ihrem Wahlkreis?

Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass gesagt wird Stefan Weiler dürfte nicht Aufsichtsrat von Volkswagen sein. In jeder CDU-Regierung war der Ministerpräsident selbstverständlich im Aufsichtsrat bei VW. Jetzt so zu tun, als sei dies etwas Besonderes, finde ich komisch, dazu fällt mir nicht mehr viel Konstruktives oder Wertschätzendes ein. Niedersachsen gehören schließlich zwanzig Prozent Anteile an VW. Da ist es nur selbstverständlich, dass das Land Niedersachsen mit seinem Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat von VW vertreten ist. Es ist also Kritik an einem Sachverhalt, der in den letzten 40 Jahren so praktiziert wurde und alternativlos ist. Ich finde es ein wenig überinterpretiert, dass wir nur bei VW säßen und versuchten, deren Politik durchzusetzen. Das ist ganz und gar nicht der Fall.

Unterm Strich sagen Sie, dass in Emden Arbeitsplätze an VW gekoppelt sind. Würden Sie sich dann dafür einsetzen, dass für die Schäden der Dieselkrise auch die Hersteller aufkommen, auch wenn dies einen wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen bedeutet?

Keine Frage, die Ergebnisse des Dieselgipfels können nur ein erster Schritt sein.[1] Es ist selbstverständlich, dass eine funktionierende Software in die Fahrzeuge eingesetzt wird. Sollte es damit nicht gelingen, muss nachgerüstet werden. Das kann einen finanziellen Schaden für Volkswagen bedeuten, die versprochene Diesel-Abgasnorm einzuhalten, ist jedoch eine Frage des Verbraucherschutzes. Das würden wir bei anderen Produkten genauso sehen.

Meine letzte Frage, stelle ich allen Fraktionen. Wie kommen Sie morgens zur Arbeit?

Ich fahre natürlich einen Passat. Ein Fahrzeug, das in Emden produziert wird.

Haben Sie den Wagen direkt am Werk gekauft?

Ich habe es von einem VW-Händler aus der Region. Ehrlich gesagt, ist es für mich selbstverständlich. Ich habe das Pech, dass ich nicht mehr Automobilfirmen in meinem Wahlkreis habe, aber das Fahrzeug wird hier produziert und das reicht.

Ich danke Ihnen für das Interview.

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