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Energieeffizienz für alle: Wenn Stromarmut Energiesparen verhindert

Studien gehen von bis zu 8,5 Millionen Haushalten in Deutschland aus, die ihre Energiekosten nicht bezahlen können. 330.000 davon wurden 2016 vom Netz genommen, dabei ist eine Stromsperre nur die letzte Konsequenz. Schon wer zwanghaft Energie sparen muss, oder bei wem Strom- und Gaskosten einen Großteil des Einkommens ausmachen, ist energiearm. Eine Reportage über den Kampf gegen Symptome der Armut und sozialblinde Stromfresser.

Im Badezimmer der Khalils* brennt jetzt eine Energiesparlampe. Die Familie ist eine von 33.000 Bedarfshaushalten in Düsseldorf und Zielgruppe der Stromsparchecks der Caritas NRW. Ihr Problem teilt sie mit geschätzt drei bis 25 Prozent der deutschen Haushalte, die in Deutschland als energiearm gelten. Die Zahlen variieren je nach Ansatz und Methode, Langzeitstudien gibt es nicht, Statistiken sind schwer vergleichbar. Energiearmut ist ein Thema abseits der politischen Debatten. Es geht um Schuldenprobleme und um Strompreise, um unzureichende Regelsätze für Sozialleistungen und einen gleichen Zugang zu Energieeffizienz. Nicht zuletzt geht es um die Energiewende und die Frage, wie die steigenden Energiekosten sozial gerecht verteilt werden können.

Wo es an ganzheitlichen Lösungen fehlt, springen die Stromsparhelfer der Caritas ein. Es ist Donnerstagmorgen, 8:30 Uhr in der ersten Etage des Energiesparhauses der Caritas Düsseldorf. Durch die offenen Fenster scheint die Sonne, es sind 30 Grad vorhergesagt. Vor den PCs sitzen sechs Energiesparhelfer, Roland Pareik schaut auf seinen aufgeklappten Laptop. Der Projektleiter des Energiesparservices der Caritas leitet die Morgenrunde, drei Helfer sind schon unterwegs, die Ersttermine der Woche müssen besprochen, die Folgebesuche vorbereitet werden. Auch Familie Khalil ist unter den Fällen, sie werden die Berater heute noch besuchen.

Stromsparcheck für Soforthilfe gegen Stromarmut

Der erste Punkt der Woche ist ein einfacher Fall für die Energieberater. Ein alleinstehender Mann, arbeitslos, 40 Quadratmeter, Zentralheizung, Elektrodurchlauferhitzer, 20 Jahre alter Kühlschrank, gespült wird mit Abflussstöpsel, gewaschen bei Freunden und der Mutter. Der Energiesparberater rattert die Fakten runter, es werden neue Lampen installiert, der Abfluss gedrosselt werden. Obendrauf gibt es einen Gutschein für einen neuen Kühlschrank. Es geht weiter zum nächsten Fall. Ein Vier-Personen-Haushalt. Es gibt viel zu tun, insgesamt können 25 Lampen ersetzt werden, Durchlaufbegrenzer in Dusche und Waschbecken eingebaut, der Duschkopf gegen eine sparsame Variante ausgetauscht werden. Den Durchlauferhitzer drehten die Helfer direkt vor Ort runter. Eine Rechnung fand die Familie nicht mehr, stattdessen eine Mahnung des Versorgers. Pareik bleibt optimistisch: „Mit einer Haushaltsanalyse können wir hier sofort helfen“.

Seit neun Jahren bietet die Caritas den Stromsparcheck für Empfänger von Sozialleistungen an, Pareik leitet das Projekt im dritten Jahr. Angeboten werden zwei vor Ort Termine, eine Bestandsaufnahme und eine Beratung mit Sofortmaßnahmen. 50 Euro stehen für jeden Haushalt für Energiesparlampen und Co. zur Verfügung für jede zusätzliche Person kommen 10 Euro hinzu. Die Fördergelder stellen Kommunen und Bund zu gleich Teilen. Geld, das viele der betroffenen Haushalte selbst nicht aufbringen können. Als energiearm gilt laut Bundesregierung wer mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Energie ausgibt. In Deutschland fallen unter die Definition 13,8 Prozent der Haushalte, doch die Regel hat Schwachstellen. Während mit der Regel auch Vielverdiener als energiearm gelten können, unterschätzt die Regierung gleichzeitig das tatsächliche Ausmaß des Problems.

Stromarmut: Geringverdiener schlittern an Absicherungen vorbei

Ein Alternativvorschlag kommt von Christoph Strünck, Professor für Sozialpolitik der Universität Siegen. 2015 erarbeitete er für die Hans Böckler Stiftung eine der wenigen vorhandenen Studien zum Thema Energiearmut. Seine Studie berechnet Energiearmut an der Höhe des Haushalts-Nettoeinkommens. Liegt dieses nach Abzug der Energiekosten unter der 60-Prozent Armutsgrenze der OECD, gilt man als energiearm. Dadurch erhöht sich der Anteil der betroffenen Haushalte auf 21,5 Prozent (Stand 2008). Die Ursachenforschung der Studie findet die Gründe im Dreiklang von Energiekosten, dem Einkommen und der Energieeffizienz. Seit Jahren steigen die Preise für Strom, auch durch die Energiewende. Das trifft besonders Menschen, die Hartz IV oder andere Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Die Regelsätze sollten Energiekosten eigentlich abdecken, spiegeln den heutigen Anstieg jedoch nicht wieder. Noch gravierender seien jedoch Geringverdiener betroffen, räumt Strünck ein. „Die schlittern gerade an unserem Sicherungssystem vorbei und bekommen keine Sozialleistungen und auch keine Beratungsangebote“.

Auch Pareiks Stromsparcheck erreicht nur Haushalte, die Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen. Um diese zu unterstützen, sind die Büroschränke des Energiesparhauses voll mit einem Arsenal an Glühbirnen, Duschköpfen, abschaltbaren Steckdosenleisten, Thermometern, Strommessgeräten und anderen Mitteln zum Sparen. Sogar kleine Lampen für die Steckdose holt Michaela Beyer hervor: „Die bringen wir manchmal Flüchtlingsfamilien mit. Die Kinder dort sind oft traumatisiert und schlafen bei brennendem Licht, das verbraucht natürlich auch viel Strom. Ein kleines Licht kann da schon helfen“. Die Stromsparhelferin ist seit März in Pareiks Team und auch heute wird sie wieder Flüchtlinge besuchen.

Die Jutebeutel voller Energiesparlampen

„Die Haushalte, die wir besuchen, können zwischen 100 und 250 Euro jährlich an Strom sparen“, erklärt Sparberater Jörgen Runksmeier auf dem Weg zum Vormittagstermin. Der 62-Jährige besteigt mit Beyer den Bus in Richtung Düsseldorf Eller, im Gepäck drei rote Jutebeutel voller Energiesparlampen, Mehrfachsteckern und Strommessgeräten für die Haushalte. Es geht zu Familie Khalil, die Syrer flüchteten vor zwei Jahren mit ihren Kindern nach Deutschland, inzwischen sind es fünf Kleinkinder, das Kleinste noch ein Baby. „Die kriegen einen Kühlschrank-Gutschein“, informiert Runksmeier. „Das Problem ist die Sprache. Ich weiß nicht, ob er das beim ersten Termin verstanden hat“. Seine Kollegin Beyer bleibt optimistisch. Sie besuchen in letzter Zeit immer häufiger Flüchtlinge, doch bisher hätte die Verständigung immer irgendwie geklappt, zur Not mit Händen und Füßen.

Die Fahrt führt nach Düsseldorf Eller, die Nachbarschaft ist ruhig und grün. Um die Ecke liegt die Diakonie Düsseldorf, neben der Wohnung befindet sich eine Kita und Kinder toben im Hinterhof. Bei der Familie Khalil angekommen werden Runksmeier und Beyer bereits erwartet. Der Kühlschrank ist alt und verbraucht zu viel Strom. Vor einigen Wochen hat er komplett seinen Dienst versagt, jetzt kratzt die Temperatur draußen an der 30 Grad Marke und die Lebensmittel werden schlecht. Die Stromsparhelfer erklären, was zu tun ist, um das Gerät auszutauschen. Wo das Deutsch noch nicht ausreicht, hilft eine Nachbarin das Bürokratendeutsch am Telefon zu übersetzen.

Energieeffizienz ist ungerecht verteilt

Dass die Khalils in die Jahre gekommene Haushaltsgeräte besitzen, ist typisch und Teil des Problems, bestätigt Strünck. Ärmere Haushalte hätten zwar insgesamt keine höheren Energiekosten, diese seien aber pro Quadratmeter deutlich höher. Einkommensschwache Haushalte bewohnten meist ältere und schlechter sanierte Wohnungen. „Von sanierten Wohnungen würden gerade sozial schwache Haushalte profitieren“, meint Strünck. Allerdings würden die Kosten für die Sanierung teilweise auf die Miete aufgeschlagen. Ein Problem abseits der reinen Energiepreise, für das bis dato Lösungsvorschläge fehlen. Und wenn das Geld kaum für die Stromrechnung reicht, können auch keine alten Stromfresser ersetzt werden. Sein Urteil: Die Energieeffizienz sei schlichtweg ungerecht verteilt.

Lampe für Lampe die Mammutaufgabe Stromsparen stemmen

Um das zu ändern, arbeitet das Energiesparprogramm der Caritas daran, auch arme Kunden mit energieeffizienten Geräten auszustatten. Mittlerweile erreichte das Projekt in ganz NRW eine Viertelmillion Haushalte, im Schnitt kann der Energieverbrauch der Haushalte um 13 Prozent gesenkt werden. “Es ist ein nachhaltiges Modell, bei dem das Geld für die Investitionen durch die Einsparungen wieder reingeholt wird“, bemerkt Pareik. Was er sich für die Zukunft wünsche: „Die Erkenntnis, wie effektiv der Stromsparcheck ist. Energiesparen muss endlich als Infrastruktur verstanden werden und Beratungen flächendeckend angeboten werden“. Auch Runksmeier will, dass es weitergeht, für ihn und für das Projekt. Sein Vertrag läuft in einem halben Jahr aus, doch er möchte weitermachen und sieht bereits die nächsten Einsparpotenziale. „Irgendwann sind alle Lampen ausgetauscht. Der Stromsparcheck der Zukunft wird viel mit Heizung und Gas zu tun haben, aber bis jetzt fehlt es uns noch an Mitteln und Wissen.“ Bis 2019 wurde das Projekt von der Bundesregierung verlängert. Und noch gibt es genügend Lampen auszutauschen. Rund 20 Stück werden Beyer und Runksmeier heute noch wechseln. Der nächste Termin wartet schon, wieder eine Familie, danach geht es zu einer alleinerziehenden Mutter. Heute Abend werden die beiden Stromsparhelfer mit Bus und Bahn einmal quer durch Düsseldorf gefahren sein und Lampe für Lampe die Mammutaufgabe stemmen, Stromfresser zu eliminieren und Energieeffizienz für alle zugänglich zu machen. Am Ende könnte die Energiewende auch in arme Haushalte einziehen.

*Name geändert

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